DIJUF-Expertise zur Förderung von Flüchtlingskindern

Das Deutsche Jugendinstitut hat eine Rechtsexpertise beim Deutschen Institut für Jugendhilfe und Familienrecht (Prof. Dr. Thomas Meysen u.a.) in Auftrag gegeben, um die Ansprüche von Kindern nach ihrer Flucht in Deutschland in Abhängigkeit von Aufenthaltszeit, rechtlichem Status und Bedarfen  zu klären. Gleichzeitig soll damit ein Diskurs um die Rechte und gelingende Integration geflüchteter Kinder sowie ihre derzeitigen Zugangschancen in das System der frühkindlichen Bildung, Betreuung und Erziehung  angeregt werden. Die Ergebnisse der Expertise werden in den Nationalen Bildungsbericht 2016 einfließen.

Zentrale Ergebnisse:
Ø  Geflüchtete Kinder haben in der Regel mit Einreise in Deutschland, unabhängig von ihrem Aufenthaltsstatus, das Recht auf Förderung in einer Tageseinrichtung oder Tagespflegestelle nach §§22ff SGB VIII. Maßgeblich hierfür ist das Hager Kinderschutzübereinkommen (KSÜ), das das aufnehmende Land zu Kinderschutzmaßnahmen verpflichtet, wenn ein Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt dort hat. Davon ist mit Einreise der Eltern auszugehen.

Ø  Zu den Schutzmaßnahmen zählen auch alle individuellen Maßnahmen, die im Interesse des Kindes erforderlich sind. Die bedarfsorientieren Leistungen der frühkindlichen Bildung, Erziehung und Betreuung erfüllen alle Kriterien einer Schutzmaßnahme nach Art. 5 Abs. 1 KSÜ.

Ø  Der gewöhnliche Aufenthalt beschreibt nach offizieller Rechtsauffassung den sogenannten räumlichen Lebens- oder Daseinsmittelpunkt der Person, unabhängig von der Rechtmäßigkeit ihres Aufenthalts. Die Leistungsberechtigung besteht dabei in der Regel von beginn des Aufenthaltes in Deutschland an (nicht erst nach der landesinternen Verteilung).

Ø  Zum Leistungsumfang: Die Rechtsansprüche und objektiven Leistungsverpflichtungen bestehen für jedes Kind mit gewöhnlichem Aufenthalt in Deutschland gleich.
*Bedarfsunabhängiger Grundanspruch auf einen Halbtagsplatz für 1 – 3jährige (4 Stunden), abweichender Umfang bedarfsabhängig: hier kommen auch kindbezogene Bedarfe nach Integration und Sicherheit in Betracht
*Rechtanspruch auf einen Halbtagsplatz für 3- bis 6jährige (6 Stunden),
*Anspruch auf bedarfsgerechtes Angebot an Hortbetreuung (bis zum 14. Geburtstag)

Ø  Ermöglichung der Teilnahme der Eltern an Sprach- und Integrationskursen muss als Bedarfskriterium (auch über den Grundanspruch hinaus) anerkannt werden für 1 – bis 6jährige, ist jedoch nicht als individueller Bedarf anerkannt, wenn das Kind jünger als ein Jahr ist.

Ø  Landesrechtliche Anmeldefristen dürfen nicht zur Vorenthaltung der Leistung führen, in diesen Fällen ist Bundesrechtskonform zu entscheiden (keine Stichtagsregelungen).

Ø  Datenschutz: Einrichtungen frühkindlicher Bildung dürfen einem Ersuchen der Ausländerbehörde auf Mitteilung der Kenntnis eines illegalen Aufenthaltsstatus nicht nachkommen (Ausnahme von der Spontanübermittlungspflicht).

Ø  Elternbeiträge sowie weitere Kosten im Zusammenhang mit dem Regelangebot (inkl. Mittagessen) werden für Leistungsberechtigte nach dem Asylbewerberleistungsgesetz durch die öffentliche Hand übernommen.

Ø  Zwischen den Bestimmungen nach der UN-Kinderrechtskonvention und einzelnen ausländerrechtlichen Bestimmungen besteht ein Spannungsverhältnis, das den Zugang zu Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe erschwert (z.B. Residenzpflicht als Einschränkung von Freiheitsrechten).

Ø  Der Träger der öffentlichen Jugendhilfe hat eine Beratungspflicht bezüglich der Ansprüchsberechtigungen geflüchteter Kinder, parallel dazu haben die Eltern einen Beratungsanspruch.

Ø  Im Blick auf die noch immer unzureichende Bereitstellung von Betreuungsplätzen ist die strukturelle Benachteiligung Geflüchteter bei der Platzvergabe ebenso zu berücksichtigen wie die kindbezogenen Bedarfskriterien.

Meysen_Beckmann_Gonzalez_Rechtsexpertise Flüchtlingskinder und Kindertagesbetreuung_26-01-2016